Kennen Sie diese wunderbare Slapstick-Szene, in der ein etwas ungeschickter Herr im Boot einer etwas übergewichtigen Dame helfen möchte, vom Steg ins Boot zu steigen und die unbeholfene Dralle das Boot gleich wieder, wenn auch unfreiwillig auf der anderen Seite in Richtung Wasser verlässt? So ungefähr geht es einigen Agenturen, die in aufwendigen Pitches Neukunden gewinnen und dann schneller wieder verlieren, als ihnen lieb ist.
Was war schief gegangen? Mit großer Wahrscheinlichkeit hatten sich weder der Werbetreibende noch seine neue Agentur die nötige Zeit genommen, einen soliden On-Boarding-Prozess zu durchlaufen. Wie so häufig wurde viel Zeit und Talent in den Agenturselektionsprozess investiert und nun, wo der neue Agenturpartner gefunden, der nächste Kunde gewonnen ist, startet man mit Volldampf in die Umsetzung der präferierten Ideen. Natürlich ohne vorher detailliert über die gegenseitigen Erwartungen gesprochen, Regeln der Zusammenarbeit vereinbart, die Ziele konkret definiert und ohne sich vorher gegenseitig ein wenig besser kennengelernt zu haben.
Und so kommt es leider häufig dazu, dass man von Anfang an, aneinander vorbei kommuniziert. Jeweils andere Zielsetzungen im Kopf hat und Dinge voraussetzt, die der Partner nicht weiß und gegenseitige Erwartungen schnell enttäuscht. Das junge Kind liegt im Brunnen, bevor es überhaupt Laufen lernen konnte und Auftraggeber, wie Agentur hoffen auf ein schnelles Ende mit Schrecken. Der Werbetreibende hat viel wertvolle Zeit verloren, steht ohne brauchbare Lösungen da und muss sich schnell nach einem neuen Agenturpartner umsehen. Die Agentur hat erhebliche Ressourcen in den Pitch investiert, muss ihr Investment komplett abschreiben und nach neuen New-Business-Chancen Ausschau halten.
Um solche Startschwierigkeiten mit teils fatalen Folgen für beide Seiten zu vermeiden, empfehle ich sofort nach der Agenturentscheidung einen sauberen On-Boarding-Prozess auf- und umzusetzen. Mit der Zielsetzung...
den Start einer neuen Zusammenarbeit zwischen werbetreibenden Auftraggeber und seinem neuen Agenturpartner so reibungslos, schnell und effizient wie möglich zu gestalten.
gegenseitige Enttäuschungen und potenzielle Missverständnisse soweit möglich von Anfang an zu vermeiden beziehungsweise auszuräumen.
die gemeinsame Arbeit auf möglichst konkrete, gemeinsam geteilte Ziele zu fokussieren.
das Agentur-Team so gut und schnell wie möglich in das Marketing-Team des Kunden zu integrieren.
die wichtigsten beziehungsweise dringendsten Projekte zu identifizieren und Milestones zu verabschieden.
das neue Agentur-Team optimal zu motivieren, um Engagement und Eigeninitiative zu fördern.
die grundlegenden Prozesse und Dokumentationsbedürfnisse zu etablieren.
gemeinsame Werte und einen gemeinsamen Verhaltenskodex zu definieren.
die verschiedenen Unternehmenskulturen aufeinander abzustimmen.
ganz allgemein, die „Chemie“ im Team und gegenseitiges Vertrauen auf- und auszubauen.
Der On-Boarding-Prozess besteht in der Regel aus einer Reihe strukturierter Meetings mit jeweils klar definierten Zielen und darauf abgestimmten Agenden, deren Frequenz mit Dauer der Zusammenarbeit abnimmt. Dabei wechseln eher informelle Meetings, die dem Auf- und Ausbau der Chemie, beziehungsweise dem Kennenlernen des Produktes / der Dienstleistung des Auftraggebers dienen mit eher formellen Meetings z.B. Zur Definition von Zielen und Abstimmen der Prozesse ab. Ich empfehle in der Regel den Aufwand und die Kosten für On-Boarding-Meetings fair zwischen Auftraggeber und Agentur zu teilen. Mehr zum Thema On-Boarding-Meetings in einem weiteren Beitrag [hier].
Im letzten Sommer hatte ein großer deutscher Markenartikelhersteller in einem aufwendigen Pitch eine neue Agentur gesucht und gefunden. Heute, fast ein Jahr später ist immer noch keine neue Kampagne On-air. Ob es wohl daran lag, dass der Werbetreibende seinerzeit glaubte, keine Zeit für den von mir wärmstens empfohlenen On-Boarding-Prozess zu haben?
Natürlich bedeutet der On-Boarding-Prozess zusätzlichen zeitlichen, wie finanziellen Aufwand, aber diese anfängliche Investition lohnt. Denn wie sagte schon Anton Bruckner: "Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen."